Oder warum unter 65-Jährige im Tram nicht mehr aufstehen | Schweizer Personalvorsorge
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Oder warum unter 65-Jährige im Tram nicht mehr aufstehen

In Kategorien von «die» und «wir» zu denken, halte ich für falsch, wenn nicht gar gefährlich. Es ist verkürzend, wird weder «denen» noch «uns» gerecht und spaltet Gesellschaften, die doch mehr denn je zusammenhalten sollten. «Die» versus «wir», das ist grundfalsch.

03.06.2024
Lesezeit: 3 min

Manchmal aber kann ich nicht anders, bin ja schliesslich auch nur ein Mensch. Seit der US-Präsidentschaftswahl vom 8. November 2016 beispielsweise unterscheide ich Menschen in «die», die einen Kriminellen gewählt haben oder hätten, während «wir» noch bei Verstand sind. Seit dem 5. März wiederum unterscheide ich Menschen in «die», die eine 13. AHV-Rente kriegen und «wir», die wir noch jahrelang arbeiten und dennoch nie denselben Lebensstandard im ­Alter erreichen werden.

Verkürzt gesagt unterteilt sich die Schweizer Bevöl­kerung seit dieser Volksabstimmung also in Generationen unter 65 (U65) versus solche über 65 (Ü65). Der Generationenvertrag wurde mit dem Ja zur Volksini­tiative gewissermassen aufgekündigt (für altersbedingt sehschwache Leserinnen und Leser gerne noch in ­Majuskeln: DER GENERATIONENVERTRAG GILT NICHT MEHR). Seither machen zwei kleine Punkte über dem U einen riesigen Unterschied. Echt jetzt? Echt jetzt.»

Diskussionen von Aquafit bis Zumba…

Spätestens seit die Diskussion um die Finanzierungsmöglichkeiten dieses prätentiösen Bettmümpfelis für «die» (zulasten von «uns») entbrannt ist, ist mir schmerzlich bewusst, wie kurz der Hebel ist, an dem ich als U sitze. Deshalb nutze ich neuerdings jede noch so kleine Gelegenheit, den Üs heimzuzahlen. Auch das ist falsch. Grundfalsch. Aber ich bin schliesslich auch nur ein Mensch unter 65. Also stehe ich in Bus, Tram und Bahn nicht mehr auf, wenn ein oder eine Ü65 zusteigt. Soll er oder sie sich von der 13. AHV-Rente doch ein Ticket für die 1. Klasse lösen oder das Taxi nehmen, «besseres Leben im Alter» war doch die Losung. Wenn über 65-Jährige wieder einmal den Supermarkt zur Arbeitnehmendenstosszeit verstopfen, schere ich an der Kasse halsbrecherisch vor deren Einkaufstrolleys ein. Schliesslich ist meine Zeit ihr Geld. Dass das kleinlich und nutzlos ist, ist mir bewusst. Aber einer ohnmächtigen U65-Jährigen verschafft es insgeheim ein klein wenig Genugtuung.

Welche Generationen haben mit ihrem Wirtschafts-, Konsum- und Fahrverhalten Mutter Erde denn an den Rand des Kollaps manövriert?

Apropos Genugtuung: Eine solche haben die sogenannten Klima-Seniorinnen wohl unlängst vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte errungen. Zugegeben, im Alter aktiv und geistig rege zu bleiben, ist wichtig. Deshalb sind sämtliche Angebote von Aquafit bis Zumba, von Fotokurs bis Fremdsprache und von Fermentieren bis Klöppeln für Ü65-Jährige (und nur diese) ja auch stark vergünstigt. Da wundert die vollzahlenden U65-Jährigen, wie trotzdem noch Ruhestandslangeweile auf-, und es zu einer Klage vor einem internationalen Gerichtshof kommen kann. Einer Klage quasi gegen den demokratisch gefällten Abstimmungsentscheid vom 13. Juni 2021 über das CO2-Gesetz. Lernt man das in den vergünstigten Kursen der Migros Klubschule, zu denen nur gehen kann, wer zu Geschäftszeiten nicht (mehr) arbeiten muss oder einen Babysitter hat? Und können «wir» eigentlich auch beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen den demokratischen Entscheid der Rentnermehrheit klagen, dass «die» «uns» schröpfen?

Spenden statt klagen?

Nicht, dass Klimaschutz nicht wichtig wäre, ganz im Gegenteil! Aber Hand aufs Herz bzw. Finger in die Wunde: Welche Generationen haben mit ihrem Wirtschafts-, Konsum- und Fahrverhalten Mutter Erde denn an den Rand des Kollaps manövriert? Ü65. Und welche Generationen sollen jetzt, per internationalem Gerichtsentscheid, dazu verdonnert werden, die Umweltsünden ebendieser Ü65-Jährigen zu büssen? U65. In wessen Geldbeutel wird da also schon wieder gefingert? U65.

Genug gespalten, höchste Zeit für vereinende Worte und einen Vorschlag zur Versöhnung: Wie wäre es, wenn «die» statt zu klagen ihre 13. AHV-Rente für den Klimaschutz spenden würden? Dann könnten «wir» für einmal aufatmen und durchschnaufen. Bestenfalls sogar saubere Luft. Das scheint mir nun gar nicht so falsch. HABEN WIR EINEN U-Ü-VERTRAG?