Referenzalter 65, ein zweischneidiges Schwert | Schweizer Personalvorsorge
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Referenzalter 65, ein zweischneidiges Schwert

Die Lebenserwartung steigt, doch der Eintritt ins Berufsleben erfolgt immer später – beides setzt die Altersvorsorge zunehmend unter Druck.

04.12.2025
Lesezeit: 3 min

Das Referenzalter für Altersrenten liegt in der Schweiz bei 65 Jahren. Die Pensionierung markiert zugleich den Beginn des Leistungsbezugs und das Ende der Beitragszahlungen. Auf der Leistungsseite ist ein deutlicher – und erfreulicher – Anstieg der Lebenserwartung zu verzeichnen. So konnte ein Mann, der 1948, im Jahr der Einführung der AHV, 65 Jahre alt war, mit einer Rentenbezugsdauer von rund zwölf  Jahren rechnen. Beim Inkrafttreten des BVG im Jahr 1985 durfte er bereits erwarten, noch etwa 15 Jahre eine Rente zu  beziehen. Und im Jahr 2025 kann ein  Neurentner sogar damit rechnen, seine  Rente während mehr als 20 Jahren zu  beziehen. Diese in 40 Jahren gewonnenen fünf Lebensjahre bedeuten einen Zuwachs von 60 Monaten Rente – was einer  durchschnittlichen Verlängerung um anderthalb Monate pro vergangenem Jahr  entspricht. Das ist wahrlich bemerkenswert.

Weniger erfreulich stellt sich die Lage bei  den Beiträgen dar, wenn man die Dauer  der Erwerbstätigkeit berücksichtigt, mit  der die künftigen Leistungen finanziert  werden sollen. Auf den ersten Blick ist die  1973 eingeführte Skala 44 der AHV bis heute unverändert geblieben, und das  BVG beruht seit seinem Inkrafttreten auf  40 Beitragsjahren. Die tatsächliche Beitragsdauer nimmt jedoch ab, da der Eintritt ins Berufsleben immer später erfolgt.  Für dieses Phänomen gibt es mehrere Erklärungsansätze.

Erstens verliert die Berufslehre an Bedeutung: In den 1990er Jahren absolvierten  noch vier von fünf Jugendlichen nach der  obligatorischen Schulzeit eine Lehre als  Erstausbildung; heute sind es nur noch  vier von sechs. Damit sinkt der Anteil junger Fachkräfte, die im Alter von rund 20  Jahren vollständig in den Arbeitsmarkt  eintreten. Zudem hat sich auch die Ausbildungsdauer insgesamt verlängert: Immer häufiger nehmen Berufslehren vier statt drei Jahre in Anspruch, und seit der Einführung des Bologna-Systems sind fünfjährige Hochschulstudiengänge die Regel (das Lizenziat mit einer Studienzeit  von vier Jahren wurde Anfang der 2000er Jahre abgeschafft). Im Juni 2023 beschloss der Bundesrat ausserdem, dass die eidgenössische Maturität künftig in vier statt wie bisher in drei Jahren erworben werden kann.

Ein eher anekdotisches, aber nicht minder bezeichnendes Beispiel  für die gesellschaftliche Akzeptanz eines späteren Berufseintritts ist die Tatsache, dass selbst die Rekrutenschule Studierende dazu zwingt, zwischen Gymnasium und Hochschule ein «Sabbatical» einzuschalten. Man könnte fast meinen, der Mangel an Soldaten und die Attraktivität  des Zivildienstes reichten nicht aus, um die Armee dazu zu bewegen, eine studienkompatible Lösung zu entwickeln – und das Verteidigungsdepartement kümmere sich nur am Rande um die AHV-Finanzierung.

Das Referenzalter ist der Dreh- und Angelpunkt zwischen Rentenbezug und Beitragszahlungen. Bleibt es unverändert, verlängert sich mit jedem Anstieg der Lebenserwartung die Rentenbezugsdauer, während jede Massnahme, die den Eintritt ins Berufsleben verzögert, die Erwerbsphase verkürzt. Beide Effekte führen zusammen zu einem erheblichen Ungleichgewicht.

Nach der «Goldenen Regel» der  Vorsorge genügte es 1985, während 40 Jahren 11% des Lohns einzuzahlen, um anschliessend 15 Jahre lang eine Rente von 30% des Lohns zu beziehen. Im Jahr 2025 liegt die Beitragsdauer bei rund 37  Jahren, während die Lebenserwartung im Alter von 65 Jahren bei 20 Jahren liegt. Um denselben monatlichen Rentenbetrag zu finanzieren, wären Beiträge von 16% erforderlich.

Es ist ein Trugschluss zu glauben, die unverrückbare Festlegung des Referenzalters von 65 Jahren sei eine soziale Errungenschaft – sie führt zwangsläufig zu  tieferen Renten oder geringeren Nettolöhnen. Eine Senkung der Renten ist weder sozial wünschenswert noch mit dem in der Verfassung verankerten Ziel vereinbar, den gewohnten Lebensstandard in  angemessenem Umfang zu sichern. Es  zeigt sich somit, dass das starre Referenzalter von 65 Jahren nicht zukunftsfähig  ist, da es zwangsläufig eine stetige Erhöhung der Beiträge nach sich zieht.

Dass die automatische Anpassung des Referenzalters an die Lebenserwartung  jüngst an der Urne gescheitert ist, bedeutet keineswegs das Ende aller Diskussionen über das Rentenalter, sondern widerspiegelt vielmehr das Misstrauen gegen- über technokratischen Lösungen. Es gilt daher, einen sozial verträglichen Weg zu finden, um das Verhältnis zwischen Leistungsbezug und Beitragsdauer wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Dazu gehört, sich von dieser geradezu sakrosankten Fixierung auf das Rentenalter 65 zu lösen und den Fokus vermehrt auf die effektive Beitragsdauer zu richten.